Autobahn-Baustopp - der "Mietendeckel der Mobilität"?
Was der #Hambi für den Kohleausstieg ist, kann der #Danni für das Ende neuer Autobahnen sein.
21. November 2020. Ich schreibe diesen Text, während Räumung und Rodung im Dannenröder Wald mit zunehmender Brutalität vorangetrieben wird. Heute früh ist zum dritten Mal ein Mensch abgestürzt. Während ein offener Brief namhafter Akteur*innen unverzügliches Innehalten fordert, und die evangelischen Pröbste darum bitten, wenigstens am Sonntag den Polizeieinsatz zu unterbrechen, schweigt die schwarze und die grüne Landesspolitikprominenz dröhnend. Während Soliaktionen vor Parteizentralen oder Landtag abgeräumt werden, verkündet Robert Habeck beim Online-Parteitag zwar, dass der Bundesverkehrswegeplan gestoppt werden müsse doch der grüne Landesverkehrsminister lässt im Einvernehmen mit dem CDU-Innenminister, den Bau der anachronistischen A49 vorantreiben.
Fünf Jahre nach dem Pariser Abkommen ist es ein fatales Signal, einen wertvollen Mischwald, ein Natur- und Wasserschutzgebiet zu gefährden - für noch mehr Autobahn und damit noch mehr Verkehr. Der Bundesverkehrswegeplan 2030, der auch diesem Projekt höchste Priorität einräumt, ist auf einen Zuwachs von 10% Pkw- und 40% Lkw-Verkehr ausgerichtet. In fast jedem Straßenbauprojekt werden örtliche Verkehrsprobleme zur Begründung benutzt, obwohl es im Kern um die transeuropäischen Verbindungen der "Exportnation" geht. Dabei liegen gut durchdachte Alternativkonzepte vor. Damit könnten die Verkehrsprobleme in der Region schneller gelöst, hunderte Millionen Euro gespart und die Umwelt geschützt werden. Beim "Lückenschluss" der A49 sollen mehr als 1,4 Milliarden Euro in ein ÖPP-Projekt gepumpt werden. Die "Öffentlich-Private-Partnerschaft" verspricht dem Kapitalinvestor Gewinne, aber auf Kosten der Allgemeinheit.
Als LINKE in Hessen sind wir seit Jahren klar begründet gegen dieses fossile Infrastrukturprojekt aufgestellt und seit Wochen an der Seite der Widerstandsbewegung aktiv: mit Initiativen im Parlament, mit Öffentlichkeitsarbeit und mit parlamentarischen Beobachter*innen.
Der #Danni als Wendepunkt
Vor etwa einem Jahr begannen die ersten Aktivist*innen mit einer Mahnwache und einem Baumhaus die "alten" Bürgerinitiativen gegen den bevorstehenden Baubeginn zu unterstützen. Seither hat die Auseinandersetzung sehr schnell Fahrt aufgenommen: im Juni urteilte das Bundesverwaltungsgericht gegen die Klage des BUND, dass dem wachsenden Verkehr ein höheres öffentliches Interesse zukomme, als dem Natur- Klima- und Wasserschutz. Innerhalb weniger Wochen wurde der Kampf um den "Danni" von einer lokalen Protestaktion zu einem bundesweiten Bezugspunkt der Klimagerechtigkeitsbewegung. Die Strukturen des zivilen Ungehorsams, die Unterstützung aus lokalen Bürgerinitiativen, aus betroffenen Dörfern und von NGOs (BUND, Campact, Greenpeace, Attac
) sind ebenso beachtlich, wie die im Hambacher Wald vor dem "Kohlekompromiss". Mit der Erfahrung und dem Können von Baumbeschützer*innen – (auch aus anderen europäischen Ländern), mit der Kompetenz von "Ende Gelände" oder "Sand im Getriebe" und der Dynamik von Fridays for Future, gelang der Sprung in die bundesweite Medienberichterstattung deutlich schneller, als das beim #Hambi der Fall war.
Allerdings sind die Bündnis Grünen hier nicht die "natürlichen Verbündeten". Zu tief die Kluft zwischen Bekenntnis zur sozial-ökologischen Verkehrswende und dem tatsächlichen Handeln unter grüner Regierungsbeteiligung. Die Enttäuschung in weiten Teilen der Klimagerechtigkeitsbewegung ist zu Recht groß: Mit Verkehrsinfrastruktur wird zukünftige Entwicklung im wahrsten Sinne in Beton gegossen. Deshalb müssen die 850 zusätzlichen Autobahnkilometer, die im Bundesverkehrswegeplan bis 2030 vorgesehen sind, nicht nur auf den Prüfstand, sondern diese widersinnige Verschwendung muss schnellstens gestoppt werden.
Derzeit entwickelt sich eine Bewegung, die auch an anderen Stellen den Neu- oder Ausbau von Autobahnen mit neuem Schwung in Frage stellt: Tausende radeln wieder gegen die A100 in Berlin, neue Bündnisse bilden sich in Oberhausen oder Kiel. Der #Danni markiert schon jetzt einen Wendepunkt, den wir den "Wald statt Asphalt!"- Aktivist*innen verdanken.
Eine im Oktober 2020 vom Wuppertal-Institut vorgelegte Studie, beantwortet die von Fridays for Future gestellte Frage, was bis 2030 bei uns geändert werden müsste, damit die weitere Erderhitzung auf maximal 1,5 Grad begrenzt werden kann: Der Autoverkehr muss halbiert und der LKW-Verkehr reduziert werden. Während die politische Rechte den Automobil- und Logistikstandort, sowie wachsende (transnationale) Verkehrsströme als Sinnbild des Wohlstandes zementieren wollen, steht die Forderung nach einem Baustopp für neue Autobahnen für einen Richtungswechsel in der Verkehrs- und Wirtschaftspolitik. Sie kann zu einem wichtigen Kristallisationspunkt der sozial-ökologischen Verkehrswende werden und hat das Potential zum Mietendeckel der Mobilität.
Der Autobahndeckel
Der Autobahndeckel zeigt wie der Mietendeckel an: Ein "Weiter so" darf es nicht geben! In diesem Zusammenhang ist der Beitrag von Carole Rakete und Luisa Neubauer im Spiegel bemerkenswert: sie stellen fest, dass es nicht möglich sein wird, den völkerrechtlich verbindlichen Klimaschutzvertrag und die bereits geschlossenen Verträge im Bereich fossiler Rohstoffe und Infrastrukturen gleichzeitig einzuhalten.
"On paper haben wir den globalen ökologischen Zusammenbruch schon längst vertraglich besiegelt. Wenn man alle Verträge zusammenzählt, die wir Menschen zum heutigen Zeitpunkt schon unterschrieben haben, kommen wir bei einer vertraglich abgestimmten globalen Erwärmung von weit mehr als zwei Grad Celsius an." Mit Blick auf den Koalitionsvertrag in Hessen und den ÖPP-Vertrag zum Bau der Autobahn schreiben sie: "Wir werden in den nächsten Jahren immer weiter, immer mehr Verträge brechen müssen. Die Frage ist nur, welche das sein werden – und wer die Macht hat zu entscheiden welche. Systemfragen halt."
Im Feld der Wohnungspolitik ist der Stopp für Mieterhöhungen, der "Mietendeckel" ein Dreh- und Angelpunkt für linke Perspektiven geworden: die ganze soziale Misere einer von Kapitalinteressen getriebenen Mietenpolitik kann damit kritisiert werden; in der Diskussion darum werden viel weitergehende Veränderungen gefordert und Konzepte entwickelt; Die gesellschaftliche Linke steht deutlich erkennbar gegen die gesellschaftliche Rechte; Mobilisierung entsteht dabei aus konkreter Betroffenheit wie aus Solidarität und dem Wunsch nach gerechten Verhältnissen.
Eine ähnliche Rolle käme dem "Autobahndeckel" zu. Auch hier sind es zunächst häufig Betroffene, die sich gegen die Zerstörung ihrer Lebensräume vor Ort einsetzen. Und auch der Autobahndeckel ist eine Basis, von der aus weitergehende gesellschaftliche Veränderungen entwickelt werden können. Öffentliche Investitionen umsteuern zur Stärkung von Bahn und Öffis. Regionales (Land-)wirtschaften stärken, statt Bahn frei für Amazon und Co; Städte und Gemeinden für soziales Leben umgestalten statt den Durchgangsverkehr verwalten... solche Themen gehen kommunal-, landes- und bundespolitisch Hand in Hand, bieten Chancen für kleiner und größere Aktionen und sozial-ökologische Bündnisarbeit.
Der Autobahnstopp als rote Linie
Die neue Allianz der Gewerkschaften Ver.di und EVG mit Fridays for Future, BUND/BUND-Jugend, Attac, VCD, Changing Cities, Naturfreunde und Campact mündete in einem gemeinsamen Forderungspapier. Das wurde zum Tarifkampf für bessere Arbeitsbedingungen im ÖPNV im September 2020 veröffentlicht. Ein wesentlicher Punkt darin: dass die autozentrierte Verkehrsplanung der letzten Jahrzehnte beendet und die Mittel aus dem Fernstraßenneubau zu Gunsten des Umweltverbundes umgewidmet werden. Immerhin geht es um zig Milliarden Euro, die nach jetzigen "Bedarfsplänen" des Bundes in den Bau zusätzlicher Fernstraßen gesteckt werden sollen. Mittel, die längst für sozial und ökologisch gerechte Verkehrskonzepte gebraucht werden.
Der Stopp neuer Autobahnen stellt das Rückgrat der "schneller-schwerer-weiter-Ideologie" in Frage. Autobahnbaustopp ist die rote Linie gegen die Fortsetzung falscher Verkehrspolitik in der Klimakrise. Dafür müssen alte Verbindlichkeiten und Verträge aufgekündigt werden, damit neue Abkommen nicht gebrochen werden. Und zwar jetzt.
Anmerkung zum Titel: Die Frage nach dem "Mietendeckel der Mobilität" stammt von Mario Candeias, Leiter der Abteilung Politikanalyse bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Autorin: Sabine Leidig, ISM-Vorstand. Der Text wurde bereits auf ihrer Website veröffentlicht.