Andrea Ypsilanti wirbt für Solidarische Moderne
Am 31. Januar haben Sie mit mehreren Politikern aus SPD, Grünen und der Linken, mit Wissenschaftlern und Verbandsvertretern einen linken "Think tank" gegründet. Man gewinnt fast den Eindruck, dieses "Institut Solidarische Moderne" sei die Fortsetzung Ihres hessischen Projektes der "sozialen Moderne". Ist das so?
Andrea Ypsilanti: Es ist nicht einfach die Fortsetzung des Hessen-Projektes. Das Institut Solidarische Moderne hat einen erweiterten Anspruch. Es geht in diesem Institut darum, Antworten auf ganz grundlegende Fragen der Gesellschaft zu entwickeln. Es geht um die Analyse und die Entwicklung einer Gesamt-Konzeption, für die im politischen Tagesgeschäft nicht die Zeit bleibt. Aber beziehen tut es sich schon auf den interdisziplinären Politikansatz in Hessen.
Hinter dem Institut Solidarische Moderne steht ein Bündnis, das sich nicht nur auf Politik bezieht. Es ist sehr viel breiter angelegt. Es umfasst Wissenschaft, Kultur und politisch interessierte Akteure, die sich keiner anderen Institution anschließen wollen.
Welche politische Vision verfolgen Sie mit dem Institut?
Andrea Ypsilanti: Es geht uns um eine konkrete Utopie. Bei meinen Vorträgen mache ich derzeit die Erfahrung, dass die Menschen sagen, so wie es ist, kann es nicht bleiben. Dieses Gefühl ist sehr stark, aber es ist die Frage: Was dann? Dies zu beantworten, hat sich das Institut Solidarische Moderne zur Aufgabe gemacht.
Dazu muss man das Rad aber nicht immer wieder neu erfinden. Es gibt viele gute Konzepte, die liegen auf dem Tisch. Sie müssen ergänzt, interdisziplinär aufbereitet und in ein praktisch-politisches Handlungskonzept zusammengeführt werden. Das Neue wird sein, dass es nicht nur um einzelne Stellschrauben geht, sondern um eine Gesamtkonzeption. Voraussetzung ist dabei, die richtigen Fragen zu stellen und nicht polit-hektisch gleich auf alles eine Antwort zu haben.
Das Interesse an dem Institut ist groß, innerhalb von nur fünf Wochen traten rund 1100 mehr oder weniger einflussreiche Personen als Mitglieder bei. Sie blasen zum Angriff auf den Neoliberalismus. Müssen sich die einflussreichen Eliten Deutschlands nun warm anziehen? Was wollen und können Sie mit dem Institut und der politischen Bewegung einer "solidarischen Moderne" realistischer weise erreichen?
Andrea Ypsilanti: Das werden wir sehen. Unser Anspruch ist hoch. Wir wollen in der Tat kulturelle Hegemonie erreichen. Wir werben für eine Alternative zum jetzigen neoliberalen Gesellschaftsbild, zum neokonservativen Gesellschaftbild und zum ungezügelten Kapitalismus. Dafür wollen wir Mehrheiten organisieren.
Dazu bedarf es in erster Linie auch nochmals einer Phase der Aufklärung und einer zweiten Phase der Diskussion um andere, neue Konzepte.
Kritiker des Instituts sagen, im Gründungsaufruf fände sich kein Ansatz für eine aktive Beschäftigungspolitik. Was ist das Konzept zur tatsächlichen Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit und der prekären Beschäftigungsverhältnisse? Wie sieht Ihr Konjunkturprogramm aus?
Andrea Ypsilanti: Sehen Sie, das ist der Unterschied zur Alltagspolitik. Wir diskutieren kein Konjunkturprogramm. Wir werden uns natürlich mit der Restrukturierung der Arbeitswelt auseinandersetzen. Dazu gehören neben der Erwerbsarbeit ebenso die Reproduktionsarbeit und die gemeinwohlorientierte, ehrenamtliche Arbeit.
Wir werden das im Kontext mit der Transformation der Ökonomie diskutieren. Es wird dabei auch um die Frage des Wachstums gehen, wie auch um die Frage, welche Produkte wir produzieren. Das macht die Arbeit eines solchen Instituts aus.
Sie wollen eine sozial-ökologische Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik mehrheitsfähig machen. Wie kann das einem Institut mit einer akademischen Attitüde einer "solidarischen Moderne" gelingen? Kann man so eine politische Mehrheit organisieren? Wie wollen Sie damit das einfache Volk und konservative Bevölkerungskreise ansprechen?
Andrea Ypsilanti: Ein Institut muss einem wissenschaftlichen Anspruch genügen. Das ist gewährleistet. Gleichzeitig geht es dann darum, das Erarbeitete in politische Handlungskonzepte zu übersetzen und damit auch in eine populäre Sprache. Die Menschen sind klüger als viele glauben.
In Hessen haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir nicht alle Menschen erreichen konnten - schon wegen den widerstreitenden Interessen. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass wir all die progressiven Menschen erreichen werden, die wissen, dass sich etwas ändern muss, dass die gesellschaftlichen Bedingungen sozialverträglich bleiben müssen, die davon überzeugt sind, dass ihre Kinder und die nächste Generation auf Veränderungen angewiesen sind.
Wie reagieren "Mittelbau" und Basis der SPD bislang auf die Institutsgründung? Was sagen die Ortsvereine? Wird man an der Basis den ehemaligen Parteivorstandsmitgliedern Andrea Ypsilanti und Hermann Scheer folgen?
Andrea Ypsilanti: Wir haben im Institut Solidarische Moderne eine ganze Reihe Mitglieder auch aus der SPD. Und ich werde aus der Partei darauf angesprochen. Auf Veranstaltungen ist das immer auch ein Thema. Ich stelle dann klar, dass es sich nicht um eine Konkurrenzveranstaltung handelt. Mir ist gerade als Sozialdemokratin daran gelegen, auch für die SPD die Türen weiter aufzumachen.
Wie ist die Reaktion an der Basis der Grünen und der Linken?
Andrea Ypsilanti: Die zahlreichen Rückmeldungen aus diesen Parteien, aber auch außerhalb von Parteien, würde ich so beschreiben: Es gibt eine abwartende Neugier, Hoffnung und auch Ängste.
An welcher machtpolitischen Perspektive arbeitet das Institut Solidarische Moderne?
Andrea Ypsilanti: Es darf bei künftigen Regierungsbildungen nicht mehr darum gehen, dass mit dem Rechenschieber geschaut wird, welche Parteienkonstellation eine rechnerische Mehrheit hat.
Koalitionen müssen vielmehr dem inhaltlichen Willen der Bevölkerung entsprechen. Wir wollen eine gesellschaftliche Mehrheit organisieren, die die Reformfähigkeit in der Politik unumgänglich macht.
Was hält Andrea Ypsilanti von Willy Brandt?
Andrea Ypsilanti: Willy Brandt war ein Vorbild, wenn man sich etwa an die Ostpolitik und an die Sozialreformen erinnert, die er maßgeblich zum Wohle dieses Europas vorangebracht hat. Auch Willy Brandt ist zunächst auf Widerstand gestoßen, sowohl in der eigenen Partei als auch in der medialen Öffentlichkeit.
Ist die Zeit reif für einen inhaltlichen Politikwechsel?
Andrea Ypsilanti: Diesen Eindruck gewinne ich, wenn ich mit den Menschen spreche. Die Zeit ist mehr als reif für einen wirklichen Politikwechsel.