- Katja Kipping & Thomas Lohmeier
Lieber Red als New
Statt grüner Kapitalismus: Plädoyer für einen Red-Green-Deal als Crossover-Projekt der postneoliberalen Linken
Eine zeitgemäße Aufnahme der Crossover-Idee muss die alten Zöpfe der Mitte-Links-Regierungen der neunziger Jahre abschneiden. Die neue Mitte, ordoliberale "Balance" zwischen Markt und Staat, Drangsalierung der Erwerbslosen, aktivierende Sozialpolitik – all das ist zu Recht diskreditiert und gescheitert. Im Mittelpunkt der aktuellen Crossover-Diskussion muss die Frage stehen, wie das linke Lager eine wirkliche Reformperspektive (Energiewende, demokratischer Sozialstaat, friedliche Außenpolitik) entwickeln kann, die Grundlage für die Konstitution eines gesellschaftlichen Lagers ist, das einem Postneoliberalismus den Weg bereitet. Insofern geht es in den nächsten Jahren nicht nur um die Frage, wie ein linker Veto-Block entstehen kann, der die Politik der schwarz-gelben Bundesregierung erfolgreich blockiert, sondern auch darum, ein Projekt zu formulieren, das die unterschiedlichen Parteien, Milieus und sozialen Bewegungen des linken Lagers verbindet und für das eine neue gesellschaftliche Hegemonie gewonnen werden kann.
Vor dem Hintergrund der ökologischen Entwicklungen ("Klimawandel") und der neoliberalen Politik der vergangen drei Dekaden, schlagen wir einen Red-Green Deal als gemeinsames Projekt der postneoliberalen Linken vor. Der Klimawandel in seiner jetzigen Form ist – und dies ist durch die so genannte Fußabdruckmethode bewiesen – durch menschlich bedingte Umweltverschmutzung verursacht. Seine Folgen sind enorm und bedrohen zunehmend zivilisatorische Errungenschaften sowie die menschliche Existenz an sich. Wer also die ökologische Frage als Nebenwiderspruch abtut, irrt gewaltig. Denn: All die von der ArbeiterInnenbewegung erkämpften Rechte und sozialen Fortschritte können über kurz oder lang vom Klimawandel im wahrsten Sinne des Wortes weggespült werden. Der Kampf um Klimagerechtigkeit ist eine existentielle Aufgabe und die Herausforderung unserer Zeit.
Klimawandel und Umweltverschmutzung sind Ausdruck dessen, dass sich in einer kapitalistischen Gesellschaft die freigesetzten Produktivkräfte durch den Druck der Profitlogik menschenfeindlich entladen und damit in Destruktivkräfte verwandeln können. Der Kapitalismus neigt sogar dazu, seine eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören. Er ist sowohl maßlos gegenüber der Arbeit, Schöpfer seines Lebenselixiers des Profits, als auch gegenüber der Umwelt, die die Gebrauchswerte bereit stellt, ohne die kein Tauschwert sein kann. Seine Prinzipien, die auf Wachstum und Kolonialisierung aller Weltregionen und Lebensbereiche ausgerichtet sind, werden für die Menschen zunehmend lebensbedrohlich. Deshalb sind soziale und ökologische Fragen häufig – obwohl zunächst gegensätzlich wahrgenommen – durchaus jeweils Gegenstand des gleichen gesellschaftlichen Konflikts: der Konflikt um eine aus menschlicher Sicht sinnhafte Form der Produktion.
Dem unter diesen Bedingungen produzierten Reichtum wohnt die Tendenz inne, neue Armut zu schaffen. In den 1930er Jahren wurde mit dem New Deal die Maßlosigkeit des Kapitals gegenüber der Arbeit gebändigt. Unmittelbarer Anlass waren der Börsencrash des Jahres 1929. Die meisten Maßnahmen wurden mit Einführung der Kriegsökonomie ohnehin wieder abgelöst. Die Angst, den eigenen Krisen zu erliegen blieb und wurde durch die Systemkonkurrenz mit dem real existierenden Sozialismus noch verstärkt. Deswegen stellte der ideelle Gesamtkapitalist auch später, in der Zeit zwischen 1950 und 1970 Regeln auf, die dem Kapitalismus ein menschliches Antlitz gaben. Der drohende Klimawandel ist nun wieder so ein mächtiges Problem. Und wieder soll ein New Deal helfen, diesmal nicht nur den Kapitalismus, sondern gleich die ganze Menschheit zu retten.
Den Green-New-Deal ...
Der Green New Deal – im internationalen Diskurs ehrlicher als "green capitalism" bezeichnet – soll den Kapitalismus grün und nachhaltig werden lassen. In allerlei wissenschaftlichen Studien und politischen Programmen werden Vorschläge erarbeitet, wie mit Hilfe marktwirtschaftlicher Methoden der Kapitalismus vor einem ökologischen Kollaps und die Menschheit vor ihrem Untergang bewahrt werden kann. Gemeinsam ist allen Konzepten, dass sie die Logik kapitalistischer Ökonomie nicht in Frage stellen. So soll der Green New Deal den Handel mit Emissionszertifikaten, eine effektivere regionale Energieversorgung, eine Stärkung des Schienenverkehrs und des ÖPNV gegenüber dem Individualverkehr, die Förderung regenerativer Energien sowie eine Preis- und Steuerpolitik, die ökologische Produkte fördert bzw. umweltschädliche Produkte verteuert, umfassen.
Obwohl der Green New Deal als globales Projekt verstanden wird, ist keineswegs sicher, dass seinen Konzepten eine internationale Perspektive eingeschrieben ist. In der Studie "Auf dem Weg zu einem Green New Deal" der grünen Heinrich-Böll-Stiftung kommt die Problematik der sich industriell entwickelnden Schwellenländer oder gar der Wunsch nach Überwindung materieller Armut in den Ländern der sogenannten Dritten Welt überhaupt nicht vor. Es wird darauf vertraut, dass die bisher zerstörerische Kraft der kapitalistischen Zentren USA und EU zu einer kreativen Kraft mutiert und deren leuchtendes Beispiel China, Indien und andere Länder dazu anhalten möge, in ähnlicher Weise ihre Ökonomie ökologisch umzugestalten bzw. gleich die Fehler der alten kapitalistischen Ökonomien zu vermeiden.
Zwar gibt es innerhalb des grünen Spektrums verschiedene Konzepte des Green-New-Deals. So ist der Beschluss "Die Krisen bewältigen – für einen grünen New Deal!", welcher auf dem Parteitag der Grünen 2008 eine Mehrheit fand, deutlich sensibler gegenüber der sozialen Dimension als das Papier aus dem Hause der Böll-Stiftung. Ob sich jedoch letztlich im Falle einer möglichen Regierung im konkreten Handeln bei den Grünen die Strömung durchsetzen wird, die einen gerechten "Nord-Süd-Ausgleich" und eine gerechtere Verteilung von Einkommen fordert, bleibt zwar zu hoffen. Ausgemacht ist dies jedoch noch nicht.
Es gibt daher viele Gründe, warum eine politische Linke sich nicht einfach dem Konzept des Green New Deal anschließen sollte. Dabei ist die Kritik, dass er in marktwirtschaftlicher – also kapitalistischer – Logik gefangen bleibt, zu billig. Denn tatsächlich ist seinen Apologeten zuzugestehen, dass sie interessante Konzepte zum Umbau der kapitalistischen Ökonomie vorhalten, die ihre naturzerstörende Kraft bändigen können. Der Green New Deal krankt aber daran, dass er die ökologische Frage ohne die soziale lösen will. Dies wird allerdings dazu führen, dass diejenigen, deren ökologischer Fußabdruck (wenn auch unfreiwillig) am kleinsten ist, die Rechnung derjenigen zu begleichen haben, die ihren Reichtum auf ihrer naturzerstörenden Produktions-und Konsumtionsweise gründeten. Der gegenwärtig in grünen Kreisen diskutierte Green New Deal muss daher um eine soziale und internationale Perspektive erweitert werden.
... zum Red-Green-Deal weiterdenken.
Was wir brauchen ist ein Red-Green-Deal, der weder der Logik einer apokalyptischen Politik verfallen darf, dernach die Welt gerettet werden müsse – egal wie; noch der Logik der alten naturzerstörenden Industriepolitik, wie sie lange Zeit selbst von Betonsozialisten aller Länder und aller Couleur vertreten worden ist. Er muss sich vielmehr zu einer Politik der Entschleunigung und der Wachstumsbegrenzung bekennen. Dem Wahnsinn der kapitalistischen Profitlogik muss die Rationalität der technischen, ökologischen und sozialen Vernunft entgegengesetzt werden. Ökologische Politik – will sie nicht offen autoritär sein – muss letztlich auch eine soziale Politik sein, weil sie ohne die Akzeptanz der Vielen zum Scheitern verurteilt ist. Der Red-Green-Deal muss daher folgende konkrete Punkte umfassen:
1.) Die Kosten des ökologischen Umbaus müssen diejenigen zahlen, die die Mittel dazu haben und die bisher durch ihren verschwenderischen Lebensstil die Klimakatastrophe verantwortet haben. Das bedeutet, dass die Länder des industrialisierten Nordens (hier vor allem die USA und die EU) erhebliche Mittel aufbringen müssen, um Länder des globalen Südens bei der Entwicklung einer ökologisch verträglichen Ökonomie zu unterstützen. Dazu gehören internationale Regeln zur Internalisierung der externen Kosten. Zu den externen Kosten von Emissionen gehört die Zerstörung von Lebensräumen, die Schäden, die durch Extremwetterlagen entstehen, die Krankheiten und Todesfälle, die durch Umweltverschmutzung befördert werden. All diese Kosten sind nicht in den Kosten für Sprit und Kerosin enthalten. Diese Kosten muss die Allgemeinheit tragen. Die Konzerne, die Gewinne machen, dabei Abgase und damit Umweltverschmutzung produzieren, müssen nur die allgemeinen Transportkosten bezahlen. Unternehmen, deren Logistik auf lange Transportwege angelegt ist, zahlen nur die allgemeinen Spritkosten. Die Umweltbewegung fordert deswegen zu Recht seit langem, dass die Verursacher auch die externen Kosten zu tragen haben. Vorstellbar wäre dies durch eine entsprechende Besteuerung der von Unternehmen verursachten Emissionen.
2.) Um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern, muss es global zu einer enormen Reduktion der Emissionen kommen. Diese Reduktion müssen die westlichen Industrienationen erbringen, während die notwendige Entwicklung der Produktivkräfte in den Entwicklungsländern wohl nicht ganz ohne ein quantitatives Wachstum zu realisieren ist. Allerdings sollten diese Regionen nicht die Fehler der westlichen Welt wiederholen. Konkret bedeutet das: Anstatt zuerst den Irrweg mit Atomkraftwerken und Spritschleudern weiterzuverfolgen, empfiehlt es sich die flächendeckende Energieversorgung auf Grundlage erneuerbarer Energien und dezentraler Kraftwerke sowie die Mobilität für alle auf Grundlage von Bus und Bahn – auch für die Armen im globalen Süden – zu befördern. Die ärmeren Länder haben ein Recht darauf, die Entwicklung der westlichen Welt nachzuholen. Aber hier empfiehlt sich ein Aufholen ohne das Wiederholen der Fehler. Das könnte heißen: Produktionsstätten für Fahrräder oder für Brennstoffzellenautos statt Fabriken, in denen Spritschleudern hergestellt werden. Konkret sollte das bedeuten, soziale Bewegungen und andere zivilgesellschaftliche Akteure an diesen Prozessen zu beteiligen, anstatt die "Organisierung von Fortschritt" den Eliten und dem Kapital zu überlassen.
3.) Es muss für einen Know-How-Transfer ökologischer Technologien gesorgt werden. Eine Politik, die internationale ökologische Standards als Mittel der nationalen Standortpolitik begreift, indem sie stets ausgerechnet jene Technologien und Produktionsformen standardisieren will, in denen die eigene Wirtschaft zu den führenden der Welt gehört, ist abzulehnen. Neue technologische Entwicklungen müssen direkt weltweit verfügbar sein und eingesetzt werden können. Patentrechte sind entsprechend so zu gestalten, dass ökologisch sinnvolle Veränderungen in der Produktion zeitnah vorgenommen werden können.
4.) Innerhalb der Länder des industrialisierten Nordens ist die Steuer-, Verkehrs- und Energiepolitik so zu gestalten, dass der ökologische Umbau nicht zur Exklusion von Teilen der Bevölkerung von Mobilität oder gar der Energieversorgung führt. Die Steuerpolitik als ein zentrales Steuerungsmodul kapitalistischer Ökonomie darf nicht so gestaltet werden, dass durch die Erhöhung indirekter Verbrauchssteuern auf vermeintlich umweltschädliche Produkte die soziale Ausgrenzung im Namen der Umwelt verschäft wird. Ein Red Green Deal muss stattdessen auf direkte Einkommens- und Vermögenssteuern setzen, um eine sozial gerechte Einkommensverteilung zu ermöglichen. Diese Verteilung wiederum ist die Grundlage für eine Besteuerung umweltschädlicher Produkte und Produktionsprozesse, um die Externalisierung ökologischer Folgekosten auf die Gesellschaft zu verhindern.
5.) Das Mitspracherecht der Betroffenen vor Ort bei der Planung und Durchführung von großen Infrastrukturprojekten muss ermöglicht bzw. erweitert werden. Auf diese Weise wird nicht nur die demokratische Teilhabe gestärkt, sondern kann auch die Durchsetzung von irrsinnigen Großprojekten be- bzw. verhindert werden. Atomanlagen, Autobahnen oder Stauseen beispielsweise wären wesentlich schwerer durchzusetzen, wenn es ein umfassendes Mitspracherecht der konkret Betroffenen geben würde.
6.) Schrumpfung und Konversion sind die Schlagworte der neuen Ökonomie. Es gibt auch ein gutes Leben jenseits der Flächen zersiedelnden und versiegelnden Einfamilienhäuser und ohne Spritschleudern. Dabei können ökologische Wohnprojekte, Carsharing, ein kostenfreier und gut ausgebauter ÖPNV oder ein gemeinsamer Technikpool das Leben sogar angenehmer werden lassen. Die Konversion ökologisch schädlicher Produktionen in ökologisch sinnvolle würde auch nicht zur allseits gefürchteten Massenerwerbsarbeitslosigkeit durch eine schrumpfende Wirtschaftskraft führen. Aber selbst wenn insgesamt weniger gearbeitet werden sollte, weil eine geringere Produktion weniger Arbeitskraft erfordert, ist dies nicht dramatisch. Die Menschen würden ein Gut zurückgewinnen, das vielen als nahezu unbezahlbar gilt: Zeit.
Als gemeinsames Projekt der Linken?
Es gibt eine global vernetzte Bewegung für Klimagerechtigkeit. In Kopenhagen war eine Bewegung zu erleben, die sich durch eine Aktions-Orientierung auszeichnet, die Fragen der Ökologie mit der Kritik der Produktionsverhältnisse verbindet und an Aktionsformen aus Gipfelprotesten sowie Formen des zivilen Ungehorsams anknüpft. Die neue Klimabewegung ist aus zwei Gründen eine Hoffnungsträgerin unserer Zeit: Erstens kämpft sie für globale Klimagerechtigkeit und für die Abwendung existenzieller ökologischer Bedrohungen. Zweitens kann sie zu einem Laboratorium für eine neue Linke werden, die global vernetzt ist, soziale und ökologische Problemlagen zusammenbringt und dabei politisches Handeln neu denkt und attraktiv macht. Positiv an der neuen Klimabewegung ist deshalb auch, dass sie bisher nicht zum Spielfeld der dogmatischen Beton-Linken geworden ist.
Die Durchsetzung eines Red Green Deal braucht Mut und Kraft zu harten politischen Auseinandersetzungen. Ohne die Klimabewegung, globalisierungskritische Bewegung und Gewerkschaften sind diese Reformen nicht gegen die Lobby der großen Konzerne und die organisierte politische Rechte in Politik und Medien durchzusetzen. Leider durchzieht bisher sowohl die gesellschaftliche Linke als auch die Parteien der SPD, der GRÜNEN und der LINKEN ein Konflikt zwischen zwei Varianten der Reformpolitik: Die Verwaltungslinke setzt darauf, die bestehenden Problemlagen öffentlicher Institutionen – Haushaltsdefizite, enge Handlungsspielräume, schlechte Einnahmesituation – mit linken Akzenten zu verwalten. Sie nimmt dabei ein "moderierendes" Verhältnis zur neoliberalen Politik ein. Sie will nicht alles anders, aber vieles besser machen.
Der Vorschlag eines Red Green Deal ist allerdings keine Verwaltungsoption im Rahmen bestehender Missstände. Zur Durchsetzung eines Red Green Deal bedarf es daher einer Stärkung der Veränderungslinken, die an der Idee einer Reformpolitik festhält, die substantielle politische Veränderung umfasst, die dazu bereit ist, Sand ins Getriebe zu streuen und die sich um die Forderung nach einem konkreten Politikwechsel sammelt. Zunächst ist der Red Green Deal daher auch nur ein Angebot an die verschiedenen Strömungen der Linken, sich auf eine substantielle Reformpolitik zu verständigen. Hat das linke Lager eine solche gemeinsame Perspektive gefunden, kann Politik aber wieder werden, was sie war, bevor sie sich selbst zur Verwaltung systemischer Zwänge degradierte: die demokratische Steuerung von Staat, Ökonomie und Gesellschaft.