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Politikwechsel geplatzt, Politikbetrieb gerettet

Zum Scheitern rot-rot-grüner Sondierung in Nordrhein-Westfalen

Politisch bemerkenswert am rot-rot-grünen "Gespräch" in NRW ist weniger sein Scheitern als dessen Inszenierung und Rechtfertigung. Unterm Strich bleibt "Politikverdrossenheit", also fortgesetzte Entpolitisierung und Entdemokratisierung. Der herrschende Politikbetrieb geht in die nächste Runde, noch einmal wird der CDU trotz Abwahl das Weiterregieren ermöglicht. Auch deshalb waren zuletzt nur noch 59% der Stimmberechtigten zur Wahl bereit.

Das erklärt zumindest, warum die "Sondierung" offensichtlich gar nicht dem linken Verhandlungspartner, sondern in erster Linie den Medien galt. Deshalb suchte die Verhandlungsführung auch gar nicht erst – wie an sich üblich – nach etwaigen Übereinstimmungen, sondern warf zu Beginn die offensichtlich brennend aktuelle Zukunftsfrage des Verhältnisses zur DDR auf. Zwar wollten die so auf ihre "Demokratiefähigkeit" befragten LINKEN beeiden, dass die DDR nach ihrer Auffassung eine Diktatur und kein Rechtsstaat war. Doch lieferte ihr in Sachen "Demokratiefähigkeit" naheliegender Verweis auf Kommunist_nnenverfolgung und Berufsverbote in der alten BRD der Verhandlungsführung nur den Anlass, der Partei "Demokratieunfähigkeit" zu bescheinigen. Wieso eigentlich, so wäre zu fragen, "relativiert" die Frage nach den ebenfalls bis Ende der 1980er Jahre geltenden Berufsverboten die Ablehnung der Diktatur in der DDR?

Und, um gleich einen weiteren Punkt aufzugreifen: Wieso beweist die Forderung nach politischer Überprüfung der Verfassungsschutzpraxis und nach Teilhabe der davon immer noch ausgeschlossenen LINKEN an ihrer parlamentarischen Kontrolle wieder nur "Demokratieunfähigkeit"? Haben das die Grünen nicht bis in die 90er Jahre auch in ihrem Forderungskatalog gehabt? Hätte es vielleicht andere, lokal bedingte Gründe gegeben, in NRW auf rot-rot-grün zu verzichten, im Interesse vielleicht sogar an einer rot-rot-grünen Konstellation im Bund? Das wäre erst bei tiefergehenden Verhandlungen erfahrbar gewesen. Zu denen aber kam es nicht.

In Wahrheit liegt der Grund des betriebsmäßig herbeigeführten Scheiterns im unstrittigen Faktum, dass unter den politisch durchgesetzten "ökonomischen Zwängen" auch eine rot-rot-grüne Regierung zum "Sparen", d.h. zu fortgesetztem Sozialabbau genötigt wäre. Wichtig, doch nicht entscheidend ist dabei, welche der drei Parteien zu den tiefsten und welche "nur" zu niedrigen Einschnitten bereit gewesen wäre. Wird ein "Politikwechsel" ernsthaft gewollt, käme es vor allem darauf an, das eigene politische Verhältnis zu solchen möglicherweise unabweisbaren Zwängen zu bestimmen. Hier ist den Grünen zu danken, im öffentlichen Brief an die eigene Basis alles nötige in aller Offenheit gesagt zu haben.[1] Unter dem Titel "Die LINKE verhindert einen Politikwechsel" heißt es dort: "Wir hatten übereinstimmend den Eindruck, dass mit der LINKEN kein verlässliches Regierungshandeln sicher gestellt werden könnte." Der wesentliche Grund wird im übernächsten Satz am offenbar selbstverständlichen Umstand festgemacht, "dass eine Partei Regierungshandeln mittragen muss." Dazu heißt es dann: "Die LINKE hat sich offen gehalten, in schwierigen Situationen als Landespartei auch gegen ihre Fraktion und eine gemeinsame Regierung z.B. zu Demos zu mobilisieren. Für ein stabiles und verantwortungsbewusstes Regierungshandeln (...) ist es aus unserer Sicht untragbar, dass die LINKE damit Regierung und Opposition in einem sein will."

Sicher sind Situationen unangenehm, in denen Parteigliederungen gegen eine von der eigenen Partei getragene Regierung mobilisieren. Ganz neu sind sie aber auch nicht, denkt man an Willy Brandts Rede gegen den NATO-Doppelbeschluss im Bonner Hofgarten 1981, entsprechende Beschlüsse von SPD-Landesparteitagen oder, jüngeren Datums, ähnliche Proteste gegen die Agenda-Politik der Schröder-Fischer Koalition.

Tatsächlich kommt die einleitende Frage nach der "Demokratiefähigkeit" erst mit solchen Vergleichen auf den Punkt. Im Sinn des herrschenden Politikbetriebs haben die Grünen sicher recht. Im Sinn eines ernstgemeinten "Politikwechsels" sieht die Sache allerdings anders aus. Ist in solcher Perspektive nicht ausdrücklich zu fragen, ob demokratiefähige Parteien in einer Situation, in der der Rahmen von Politik in radikal undemokratischer Weise vom Markt bestimmt wird, nicht willens und fähig sein müssen, "Regierung und Opposition in einem" zu sein? Kann das deshalb unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen Regierung und Partei im Sinn erst herzustellender Demokratie überhaupt anders produktiv gemacht werden? Wäre nicht allererst zu sondieren, wie so etwas möglich sein könnte, gerade "im größten Bundesland" und gerade unter "den Herausforderungen der kommenden Zeit", um nochmals die Grünen zu Wort kommen zu lassen? Die Bundesregierung jedenfalls gab am Tag nach dem Platzen der Sondierung bekannt, was zwar vorher alle schon wussten, im Politikbetrieb aber erst nach der NRW-Wahl sagbar war: dass man sich nun auf schmerzhafte "Einsparungen" einstellen muss. Griechenland ist überall.

In NRW ist die Sondierung vorbei. Ihr Scheitern belegt, dass die subjektiven Bedingungen für einen "Politikwechsel" noch nicht vorlagen. Dazu bleibt zu klären, was "Demokratiefähigkeit" eigentlich heißt. Zu klären bleibt auch der Umgang und vor allem der Tonfall zwischen SPD und Grünen einerseits und LINKEN anderseits, und das von allen Seiten.

[1] http://www.gruene-nrw.de/details/nachricht/sondierungsgespraeche-beendet-die-linke-verhindert-einen-politikwechsel-in-nrw.html. Für eine etwas differenziertere Position vgl. http://www.gruene-nrw.de/details/nachricht/warum-rot-gruen-rot-in-nrw-gescheitert-ist.html