- ISM Vorstand
YPG-Mammutprozess gegen Kerem Schamberger in München
Gegen die Kriminalisierung von Solidarität
Während Vertreter*innen der Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ und der Autonomen Administration Nord- und Ostsyrien (Rojava) in Europa auf höchster Ebene mit Staatsoberhäuptern konferieren (z.B. in Frankreich), bei den Vereinten Nationen in Genf verkehren und Bilder von YPJ-KämpferInnen im Europaparlament ausgestellt werden, verfolgt die Bundesregierung, insbesondere das Bundesland Bayern, jegliche Solidarität mit denjenigen, die mit einem enormen Blutzoll (11.000 Tote, 20.000 Verletzte) den sogenannten Islamischen Staat besiegt haben.
Am Dienstag, den 01. Oktober 2019 um 09:30 Uhr und am Dienstag, den 15. Oktober 2019 um 09:30 Uhr findet diesbezüglich vor dem Amtsgericht München (Nymphenburger Straße 16) ein Mammutprozess gegen Kerem Schamberger statt. 13 Anklagepunkte werden verhandelt. Es geht um die Solidarität mit den Menschen in Nordsyrien/Rojava und den Volks- und Frauenverteidigungseinheiten YPG/YPJ.
Worum geht es an diesen beiden Prozesstagen konkret? Die Staatsanwaltschaft München hat in ihrer Anklageschrift insgesamt 13 Anklagepunkte zusammengefasst. Zehn Mal geht es um das Zeigen von Symbolen der kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG, der Frauenverteidigungseinheiten YPJ und der Partei der Demokratischen Einheit PYD. Diese Symbole hat Kerem Schamberger sowohl im Internet, als auch auf Demonstrationen gegen die Nato-Kriegskonferenz, gegen den türkischen Angriffskrieg auf Afrin und auf der DGB-Demonstration zum internationalen Tag der Arbeit, dem 1. Mai 2018, gezeigt. Die Staatsanwaltschaft München wirft ihm in einem absurden Konstrukt vor damit Symbole gezeigt zu haben, die von der PKK "usurpiert" worden sind und als solche zu werten sind.
Besonders absurd: Weil in der Abendzeitung München ein Foto vom Friedensaktivisten Claus Schreer, dem kurdischen Aktivisten und Migrationsbeiratsmitglied Azad Bingöl und Kerem Schamberger erschienen ist, auf dem er ein Logo der YPG hochhält, wird ihm ebenfalls vorgeworfen ein Kennzeichen gezeigt zu haben, "welches sich die PKK zu eigen gemacht hat", so die Staatsanwaltschaft München. Ein weiterer Anklagepunkt "Verleumdung" bezieht sich auf einen Facebook-Post zur polizeilichen Durchsuchung seiner Wohnung am 13. November 2017. Damals war eine türkischstämmige Beamtin dabei, die ihm von vielen Demonstrationen in München entsprechend bekannt ist. Im Anschluss an die Hausdurchsuchung bezeichnete er sie auf Facebook als "türkisch-nationalistisch". Dies sieht die Staatsanwaltschaft München als Verleumdung an.
Die zwei letzten Anklagepunkte beziehen sich auf das Zitieren im Wortlaut aus Anklageschriften oder anderen amtlichen Schriftstücken eines Strafverfahrens. Konkret: Schamberger hatte den Durchsuchungsbeschluss seiner eigenen Wohnung teilweise geschwärzt veröffentlicht, sowie einen teilweise geschwärzten Beschluss des Amtsgerichts Aachen über die Ablehnung eines YPG bezogenen Strafbefehls. In keiner der Veröffentlichungen waren persönliche Daten von Betroffenen oder Beteiligten zu erkennen. Am ersten Prozesstag, den 1. Oktober 2019, sind von der Staatsanwaltschaft bereits acht Polizei- und andere Beamte als Zeugen vorgeladen, darunter auch sogenannte Staatsschützer.
Schamberger wird von den Anwälten Berthold Fresenius (Frankfurt) und Yunus Ziyal (Nürnberg) vertreten, die langjährige Erfahrung in politischen Prozessen haben. Fresenius war in der NSU-Nebenklage aktiv und beide vertreten bis heute Teile der Angeklagten zehn türkischen KommunistInnen, die seit Jahren in München vor Gericht stehen.
Schamberger sagt zu den Vorwürfen: "Es ist eindeutig, dass die Anklagepunkte der Staatsanwaltschaft gegen mich rein politischer Natur sind. Es geht um Einschüchterung und Disziplinierung. Dies hat bei mir 2014 begonnen mit der Kontokündigung der Commerzbank, ging weiter mit dem angedrohten Berufsverbot 2016 und nun steht 2019 dieser Prozess an. Es geht darum kritische Stimmen in Bayern mundtot zu machen. Doch solange wir zusammenstehen, wird dies nicht gelingen. Wir werden den Prozess deshalb ebenfalls politisch führen, entsprechende Zeugen einladen und zeigen, dass dieses Vorhaben der Staatsanwaltschaft nicht aufgehen wird."
Die Staatsanwaltschaft München hat in Bayern und bundesweit eine einzigartige Ermittlungs- und Anklagewelle ins Laufen gebracht,obwohl es bundesweit in diesen Fragen (YPG/YPJ-Symbole etc.) fast nur Freisprüche oder Verfahrenseinstellungen gibt. In den allermeisten Bundesländern wird das Zeigen von YPG/YPJ-Symbolen deshalb gar nicht mehr zur Anzeige gebracht. Selbst in München wurden in den letzten Monaten zahlreiche Beschuldigte freigesprochen oder die Verfahren eingestellt (nur die Aktivsten wurden verurteilt, auch hier geht es darum ein Exempel zu statuieren). In fast allen diesen aktuellen Urteilen ist die Münchener Staatsanwaltschaft jedoch in Berufung gegangen. Die Verfahren in zweiter Instanz laufen derzeit noch.
Update (25.09.2019): Der YPG-Prozess gegen ISM-Vorstandsmitglied Kerem Schamberger wurde kurzfristig aufgeschoben. Das Gericht will eine ähnliche Entscheidung in höherer Instanz abwarten. Weitere Informationen auf Kerems Blog.